Ein teilweise eingestürztes Kartenhaus vor beigem Hintergrund. Einige Spielkarten sind bereits umgefallen, andere stehen noch wacklig. Das Bild symbolisiert fragile Systeme und den Moment kurz vor dem Zusammenbruch – eine Metapher für überlastete oder veraltete CRM-Strukturen, die trotz vieler Anpassungen instabil bleiben.

CRM überdenken: Wenn Weiterbauen teurer ist als Neuanfangen

  |   CX Consulting

Das Gespräch fand in einem Strategieworkshop mit der IT- und Fachbereichsleitung eines Maschinenbauunternehmens statt. Thema: die Zukunft der CRM-Landschaft. Irgendwann platzte es aus dem IT-Leiter heraus: „Wir haben bereits so viel Zeit und Geld in unsere bestehende CRM-Lösung investiert, dass das Management auf Biegen und Brechen daran festhalten will.“

Vielleicht erkennst Du Dich darin wieder: Die CRM-Lösung, die über Jahre hinweg eingeführt, angepasst und mit unzähligen Prozessen verwoben wurde, ist längst mehr als nur Software. Sie ist Teil der Unternehmens-DNA. Millionen wurden investiert, zahlreiche Workshops abgehalten, Schnittstellen gebaut – und nun steht erneut ein größerer Umbau an. Neue Anforderungen, neue Geschäftsmodelle, neue Erwartungen von Kunden und Mitarbeitenden. Doch jede zusätzliche Anpassung kostet Zeit, Geld und Nerven. Und irgendwann stellt sich die Frage: Ist es noch sinnvoll, diesen Weg weiterzugehen? 

Genau darum geht es in diesem Artikel. Ich beleuchte beide Seiten: das Festhalten an einer historisch gewachsenen Lösung und den Mut zum Neuanfang. Welche Option ist langfristig tragfähiger? Welche Risiken und Chancen bringt sie mit sich? Und wie lässt sich eine Entscheidung treffen, die nicht von der Vergangenheit, sondern vom zukünftigen Nutzen getragen wird?

Die emotionale Falle: Der Sunk-Cost-Effekt im Technologieumfeld

 

Der sogenannte Sunk-Cost-Effekt, auch bekannt als Fallacy der versunkenen Kosten, beschreibt eine kognitive Verzerrung: Menschen halten an einer Entscheidung fest, weil sie bereits Zeit, Geld oder Mühe investiert haben. Selbst wenn es rationaler wäre, den Kurs zu ändern oder die Investition abzuschreiben, wird weitergemacht – nur um das Gefühl zu vermeiden, „etwas verloren“ zu haben.

In der Wirtschaft ist dieses Verhalten gut dokumentiert. Besonders in IT-Projekten kann dieser Denkfehler jedoch teuer werden und die Zukunftsfähigkeit ganzer Organisationen gefährden.

Auch im CRM-Umfeld zeigt sich dieses Muster immer wieder. Vielleicht hast Du über Jahre hinweg erhebliche Budgets in Deine aktuelle Lösung gesteckt: externe Beratung, Eigenentwicklungen, Customizing, Schnittstellen. Du kennst die Schwächen der Plattform und doch ist da dieses Gefühl: „Jetzt können wir nicht mehr zurück.“

Genau hier beginnt die emotionale Falle. Entscheidungen werden nicht mehr aus Sicht des zukünftigen Nutzens getroffen, sondern durch die Brille der Vergangenheit. Aussagen wie „Das haben wir immer so gemacht“ oder „Wir haben schon so viel reingesteckt“ dominieren strategische Diskussionen – obwohl sie mit den tatsächlichen Anforderungen von morgen wenig zu tun haben.

Schaubild zum Sunk-Cost-Dilemma im CRM. Links: „Festhalten an der bestehenden Lösung“ – dargestellt mit Symbolen für Datenanalyse, Prozessanpassungen, individuelle Entwicklungen, komplexe Abhängigkeiten und sinkende Agilität. Rechts: „Neustart mit moderner Plattform“ – dargestellt mit Symbolen für Innovation, Automatisierung, Standardisierung, Zusammenarbeit, klare Zielorientierung und kontinuierliche Verbesserung. Die Grafik verdeutlicht, dass alte Systeme häufig steigende Kosten und abnehmende Flexibilität verursachen, während ein Neuanfang langfristig mehr Agilität und Effizienz ermöglicht.

Sunk-Cost-Dilemma: Zukunft statt Vergangenheit denken (Quelle: Vision11)

Dabei ist eines klar: Was einmal investiert wurde, ist verloren: Zeit, Geld, Energie. Und genau das sollte keine Rolle mehr spielen. Die entscheidende Frage lautet: Wo stehen wir heute und was brauchen wir, um morgen wettbewerbsfähig zu bleiben?

 

Als Berater habe ich oft erlebt: Der Knoten platzt in dem Moment, in dem Unternehmen aufhören, sich für vergangene Entscheidungen rechtfertigen zu wollen und beginnen, wieder nach vorne zu denken.

Realistische Betrachtung: Was kostet es zu bleiben und was bringt ein Wechsel?

 

Emotionen sind ein schlechter Ratgeber, besonders bei komplexen Systementscheidungen. Deshalb lohnt sich ein nüchterner Blick auf die Fakten. Was kostet es wirklich, an einer bestehenden CRM-Lösung festzuhalten? Und wie vergleicht sich das mit den Aufwendungen für eine moderne Alternative?

 

Die Realität zeigt: Viele Unternehmen unterschätzen die versteckten Kosten des Weitermachens. Lizenzgebühren und Supportverträge sind nur die Spitze des Eisbergs. Hinzu kommen hohe Aufwände für individuelle Weiterentwicklungen, aufwendige Tests bei jeder Änderung und Engpässe beim Know-how – insbesondere, wenn das System auf veralteten Technologien basiert. Die Innovationsfähigkeit leidet. Neue Anforderungen lassen sich oft nur mit Workarounds abbilden. Während das System weiterwächst, sinkt die Agilität und die Komplexität steigt.

 

Demgegenüber stehen die initialen Kosten eines Systemwechsels: neue Lizenzen, Projektaufwand, Change Management, Datenmigration. Doch moderne Plattformen bringen einen entscheidenden Vorteil mit: Viele Anforderungen sind im Standard bereits abgedeckt. Prozesse lassen sich schneller adaptieren, Updates automatisch einspielen und neue Use Cases unkompliziert integrieren, ohne jedes Mal ins Customizing oder sogar in das Coding einsteigen zu müssen.

 

An dieser Stelle muss jedoch fairerweise gesagt werden: Es gibt Branchen, in denen eigenentwickelte CRM-Lösungen weiterhin ihre Berechtigung haben. Aus meinen Projekten kenne ich zum Beispiel Brauereien oder Unternehmen aus dem Verlagswesen, deren Geschäftsprozesse so spezifisch sind, dass Standardlösungen keine passende Abbildung bieten – oder nur mit unverhältnismäßig hohem Anpassungsaufwand.

 

Ein Kostenvergleich darf also nie pauschal erfolgen. Er muss die zukünftige Entwicklung einbeziehen, idealerweise über drei bis fünf Jahre. Erst dann wird sichtbar, welche Option wirklich wirtschaftlicher ist und ob die Entscheidung strategisch nachhaltig getroffen wurde.

Projektbeispiel aus der Praxis: CRM-Neustart bei einem Bauzulieferer

 

Ein mittelständisches Unternehmen aus der Bauzulieferer-Branche stand genau vor dieser Entscheidung. Das bestehende CRM-System war über zehn Jahre hinweg gewachsen, tief ins ERP integriert und durch zahlreiche Eigenentwicklungen stark individualisiert. Vertrieb, Service und Marketing hatten sich längst auf das System eingestellt. Doch mit jeder größeren neuen Anforderung wurde klarer: Die Grenzen waren erreicht. Trotzdem wurde weiter drangebaut.

 

Besonders bei der Einführung digitaler Geschäftsmodelle, etwa Pay-per-Use-Angeboten oder individualisierten Servicepaketen, stieß das System schnell an seine Grenzen. Schnittstellen zu Partnerplattformen fehlten, die Datenmodelle waren zu starr, und jede neue Erweiterung zog wochenlange Entwicklungszyklen nach sich. Auch die Umsetzung KI-basierter Use Cases wurde zur echten Herausforderung. Die Folge: Innovationsprojekte blieben in der IT stecken oder wurden gar nicht erst gestartet.

 

Nach langer Diskussion entschied sich das Unternehmen für einen radikalen Schnitt: ein vollständiger Neustart auf Basis einer modernen Cloud-CRM-Plattform. Der Wendepunkt kam, als die Geschäftsführung ein klares Ziel formulierte: „Wir wollen unsere Kundenbeziehungen in Echtzeit steuern, nicht im Rückspiegel verwalten.“

 

Die Umstellung erfolgte schrittweise: Zunächst wurden alle aktuellen und zukünftigen Anforderungen aufgenommen und die Prozesse neu modelliert. Dann folgte die Technologiewahl. Ein kompaktes Pilotprojekt diente als Proof of Concept, bevor die Umsetzung aller relevanten Use Cases im Hauptmarkt Deutschland startete. Anschließend rollte man das System gestaffelt international aus.

 

Datenmigration, Systemintegration und der Aufbau neuer Dashboards für Vertrieb und Service wurden als drei Kernprojekte definiert. Nach drei Monaten Parallelbetrieb wurde die alte Lösung vollständig abgeschaltet.

 

Heute profitiert das Unternehmen von kürzeren Projektzyklen, einem flexibleren Systemaufbau und vor allem von einer deutlich höheren Nutzerakzeptanz. Neue Use Cases, etwa zusätzliche Kanäle zur Leadgenerierung, KI-gestütztes Opportunity Scoring oder ein Selfservice-Portal, lassen sich innerhalb weniger Wochen realisieren. Rückblickend war das bewusste „Loslassen“ der alten Lösung die einzig richtige Entscheidung.

Die fünf häufigsten Einwände – und wie man sie entkräftet

 

Ein CRM-Wechsel ist kein kleines Vorhaben, das ist unbestritten. Es geht um etablierte Prozesse, kritische Datenflüsse und viele beteiligte Menschen. Kein Wunder also, dass in Transformationsprojekten häufig dieselben Einwände auftauchen. Doch mit fundierten Argumenten und der richtigen Perspektive lassen sie sich gut entkräften:

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„Das ist zu teuer.“

 

Dieser Einwand entsteht, wenn nur die direkten Projektkosten betrachtet werden. Doch die versteckten Kosten des Weitermachens: Wartung, Anpassung, Verzögerungen, Innovationsblockaden, sind langfristig oft höher. Eine TCO-Betrachtung über drei bis fünf Jahre schafft hier Klarheit und eine belastbare Entscheidungsgrundlage.

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„Das ist zu riskant.“

 

Veränderung birgt Risiken. Doch das größere Risiko ist das Verharren im Status quo – und damit der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Ein klar strukturiertes Vorgehen mit Pilotphase und gestuftem Rollout reduziert Risiken und eröffnet neue Chancen, die das alte System nie bieten könnte.

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„Unsere Prozesse sind zu individuell.“

 

Oft ist die vermeintliche Individualität historisch gewachsen, aber kein echter Wettbewerbsvorteil. Sie erschwert Skalierung und Innovation. Die Frage lautet daher: Was ist wirklich differenzierend – und was lässt sich mit modernen Standards effizienter abbilden?

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„Unsere Daten sind zu komplex.“

 

Datenmigration ist anspruchsvoll, aber lösbar. Entscheidend ist eine saubere Vorbereitung mit klaren Regeln für Qualität, Selektion und Bereinigung. Und: Eine Migration ist auch eine Chance, Datenbestände zu prüfen und ihren tatsächlichen Wert zu erkennen.

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„Dafür fehlt uns die Zeit.“

 

Ein verständliches, aber riskantes Argument. Wer aus Zeitgründen immer wieder verschiebt, verliert genau das: Zeit. Gute Projekte starten fokussiert, etwa mit einem Pilotprojekt oder dem schrittweisen Austausch einzelner Module. So bleibt das Tagesgeschäft stabil, und der Wandel wird planbar.

Einwand

Antwort / Entkräftung

„Das ist zu teuer.“

TCO-Betrachtung zeigt langfristige Wirtschaftlichkeit 

„Das ist zu riskant.“

Pilotphase und stufenweiser Rollout reduzieren das Risiko deutlich

„Unsere Prozesse sind zu individuell.“

Standards nutzen, gezielt und differenzierend 

„Unsere Daten sind zu komplex.“

Migration als Chance zur Datenbereinigung und Strukturierung 

„Dafür fehlt uns die Zeit.“

Teilprojekte entlasten das Tagesgeschäft und sorgen für Tempo

„Die Kolleg:innen machen da nicht mit.“

Frühzeitige Einbindung und Change-Kommunikation schaffen Akzeptanz 

„Das System ist doch individuell angepasst.“

Moderene Plattformen bieten flexible Konfiguration im Standard

„Wir verlieren unsere Datenhistorie.“

Clevere Migrationsstrategien sichern wertvolle Datenbestände

„Es gibt zu viele Abhängigkeiten.“

Systemarchitektur analysieren und gezielt entflechten 

„Wir haben hohe Anforderungen an Sicherheit.“

Cloud-Lösungen erfüllen heute höchste Sicherheitsstandards

Der Blick nach vorn entscheidet: CRM ist heute mehr als nur ein System

 

Wer über einen CRM-Wechsel nachdenkt, sollte sich nicht nur mit Kosten und Funktionen befassen. Eine der wichtigsten Fragen lautet: Welche Rolle spielt CRM künftig überhaupt im Unternehmen?

 

In vielen Organisationen verändert sich genau das gerade fundamental. CRM ist längst kein reines Vertriebswerkzeug mehr. Es ist zunehmend die zentrale Plattform für kundenbezogene Wertschöpfung, von Marketing über Service bis zu datenbasierten Geschäftsmodellen. Das heißt: Die Anforderungen steigen und damit auch der Anspruch an Flexibilität, Integration und Innovationsfähigkeit.

 

Genau hier liegt aus meiner Sicht der eigentliche Denkfehler vieler Unternehmen: Sie bewerten ihre alte Lösung danach, wie gut sie bisherige Aufgaben erfüllt hat, nicht danach, ob sie mit den kommenden Anforderungen Schritt halten kann. Wer aber sein CRM künftig als strategisches Steuerungssystem versteht, muss auch bereit sein, es aus dieser Perspektive zu hinterfragen und nicht wie ein altes Möbelstück weiter durchzuschleppen.

 

Ich sage es oft in Kundenworkshops: Nicht jede Veränderung muss sofort ein radikaler Umbruch sein. Aber man sollte regelmäßig ehrlich prüfen, ob das eigene System noch mit dem Tempo der Welt da draußen mithalten kann. Und wenn die Antwort „nein“ lautet, dann ist es vielleicht genau jetzt Zeit, den Blick mutig nach vorn zu richten.

Fazit

 

Ob man an einem bestehenden CRM festhält oder neu startet, ist keine einfache Entscheidung. Aber eine, die nicht in der Vergangenheit getroffen werden darf. Wer nur auf bereits investierte Ressourcen blickt, blendet aus, was es kostet, nicht zu handeln. Die entscheidende Frage lautet: Welcher Weg bringt in Zukunft den größten Nutzen für Kunden, Mitarbeitende und das Geschäft?

 

Aus meiner Sicht beginnt eine gute Entscheidungsfindung nicht mit einem Vergleich von Funktionen oder Lizenzmodellen, sondern mit einer grundsätzlichen strategischen Frage: Welche Rolle soll CRM künftig im Unternehmen spielen und welche Erwartungen haben unsere Kunden in den nächsten drei bis fünf Jahren? Erst wenn diese Perspektive geklärt ist, lohnt es sich, konkrete Szenarien zu vergleichen.

 

Dabei geht es nicht nur um die Einmalkosten eines Wechsels, sondern um eine ehrliche Gegenüberstellung der nächsten drei bis fünf Jahre: Wie hoch sind die Folgekosten im Altsystem? Wie stark leidet die Innovationsgeschwindigkeit? Und wie schnell ließen sich neue Anforderungen in einer modernen Lösung realisieren? Diese Gesamtbetrachtung macht deutlich, was ein „Weiter so“ tatsächlich kostet, nicht nur finanziell, sondern auch strategisch.

 

Und zuletzt: Der Weg in ein neues System muss kein radikaler Umbruch sein. Viele Unternehmen starten erfolgreich mit einem Proof of Concept, einer klar abgegrenzten Pilotphase oder einem modularen Einstieg. So entstehen Vertrauen, sichtbare Ergebnisse und ein tragfähiger Wandel, der nicht nur technisch funktioniert, sondern auch kulturell mitgetragen wird.

Sergej Plovs

Sergej Plovs

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Viele Unternehmen halten an ihrem CRM fest – aus Gewohnheit statt aus Überzeugung. Warum das teuer werden kann und wann ein Neuanfang lohnt, zeigt unser neuer Beitrag.