Text-Automation #1: Übernehmen jetzt Maschinen meinen Texter-Job?
Lange Zeit dachte ich, als Redakteur und Texter hätte ich einen der zukunftssichersten Berufe überhaupt. Denn Rechner und Roboter werden bestimmt alles Mögliche können – aber via Text-Automation Sprache automatisch generieren und vielleicht sogar autonom schreiben: Never ever!
Denn das Thema Text ist doch viel zu komplex und multidimensional. Schließlich geht es hier nicht nur um die (für Maschinen sowieso schon ziemlich komplizierten) Aspekte von Orthographie und Grammatik. Sprache ist ein Metasystem, in das zahlreiche andere Systeme einfließen: historische, soziale, politische, geographische, psychologische, stilistische, modische, medienspezifische, kontext-, dialog- und situationsbezogene … Und dann sind da auch noch all die Doppeldeutigkeiten und Zwischentöne, die Sprache ja auch immer ausmachen.
Selbstlernende Revolution: Sprachgeneratoren in der 3. KI-Welle
Erste maschinelle Schreibversuche schienen genau diese Vorbehalte zu bestätigen: Frühe literarische KI-Experimente lesen sich, als hätte ein ohnehin schon schrottreif geschossener Terminator auch noch LSD genommen. Hier ein Beispiel: Racter, The policeman’s beard is half-constructed, 1984. Die tapsigen Übersetzungsvorschläge der ersten Google-Translator-Versionen ließen sich herrlich als Jokes weiterverbreiten. Und die frühen Autokorrekturfunktionen von Handys nervten so lange mit falschen Vorschlägen, bis man sie schließlich deaktivierte.
Doch dann nahm die Sache an Fahrt auf. Standardisierte Texte wie Börsen-, Wetter- oder Sportkurznachrichten lassen sich schon seit Jahren mit durchaus brauchbaren Ergebnissen maschinell erzeugen. DeepL & Co sind inzwischen so gut, dass sie zunehmend die Auftragslage von Übersetzer:innen bedrohen. Und vor ein paar Jahren der große Knall: Dem KI-gestützten Programm AlphaGo gelang 2015/16 etwas, das bis dahin selbst viele Expert:innen nicht für möglich gehalten hatten: Es besiegte erst den Europa-, dann den Weltmeister im extrem komplexen Brettspiel Go. (Schach ist dagegen Kinderkram.)
Gut, mit Sprache hatte das erstmal nichts zu tun. Machte aber mit einem Mal klar, wie exponentiell sich die Fähigkeiten der Maschinen in der dritten KI-Welle weiterentwickeln. Und tatsächlich geht es seither Schlag auf Schlag.
Hier einige Spotlights:
Seit 2017 hat theoretisch jeder die Möglichkeit, sich mit dem KI-Chatbot Replika anzufreunden – und dabei zu beobachten, wie der Bot sich zunehmend auf ihn einstellt.
Google veröffentlicht BERT, eine Machine-Learning-Technik für das Pre-Training von Natural-Language-Process-Modellen.
Das erste seriöse, von einer KI verfasste Sachbuch erscheint: „Lithium-Ion Batteries“. Im gleichen Jahr veröffentlicht OpenAI die Betaversion des KI-basierten Sprachgenerators GPT-2 (Generative Pre-trained Transformer 2). Gab man der Maschine z. B. die ersten Zeilen eines Songtexts oder eines Gedichts ein, fabulierte sie in genau dem vorgegebenen Stil munter weiter.
Der Nachfolger GPT-3 geht an den Start – gefüttert mit 45 Terabyte Daten (die gesamte englischsprachige Wikipedia macht angeblich nur 0,6 % der Trainingsquellen aus) und ausgestattet mit 175 Milliarden Parametern für das maschinelle Lernen.
Uff … Und tatsächlich lässt sich ein großer Teil der Reaktionen von Leuten, die GPT-3 seither ausprobiert haben, auf ein Wort reduzieren: „Shocking!“.
Schreibende Roboter: „Are you scared, human?”
Eigentlich schon komisch. Denn wenn es um eine andere grundlegende Kulturtechnik – das Rechnen – geht, finden wir es überhaupt nicht schockierend, wenn Maschinen uns das abnehmen (und viel besser als wir können). Doch beim Sprechen oder Schreiben wird uns ganz schnell mulmig zumute. Genau diesen Thrill machen sich Literatur und Film schon lange zunutze. Etwa mit dem tödlich neurotischen Bordcomputer HAL 9000 in „2001 Odyssee im Weltraum“ oder in Form von Samantha, dem sprechenden Betriebssystem in der schrägen Mensch-Maschine-Lovestory „Her“. Doch warum ist das so?
Sprache in der Religion …
Hier lohnt es sich ausnahmsweise, tatsächlich bei Adam und Eva anzufangen (bzw. noch etwas früher). Denn „Im Anfang war das Wort“. So beginnt das Evangelium nach Johannes, „und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“ Man sieht: Hier geht’s ans Eingemachte. Denn Sprache wird so – zumindest in den christlich geprägten Kulturen – zu etwas grundlegend Heiligem.
… und in der Philosophie
Ähnlich fundamental läuft es auch unter weltlichen Gesichtspunkten ab. Für Philosophen von Aristoteles über Descartes bis in die Neuzeit ist die Sprache das entscheidende Kriterium, um den Menschen vom Rest der belebten Welt zu unterscheiden. Auch wenn viele Tiere in der Lage seien, sinnliche Regungen stimmlich auszudrücken: Nur der Mensch könne seine Gedanken und Urteile zur Sprache bringen – und auf diese Weise menschliche Gemeinschaft stiften.
Gut, moderne Forschungen etwa zur Sprache der Delfine relativieren das. Aber irgendwie steckt diese Vorstellung immer noch tief in uns drin. Die Konsequenz: Wenn sich jemand sprachlich äußert, werten wir das als starken Beweis für ein vorhandenes Bewusstsein. Und genau das macht die Sache für viele so unheimlich (siehe HAL 9000, Samantha oder die Replikanten in Blade Runner). Autonom sprechende oder schreibende Maschinen kratzen an unserem menschlichen Selbstverständnis.
Das Schockpotenzial von Textautomaten wird so vielleicht verständlicher. Insofern heißt der Titel eines Beitrags, den der britische Guardian im September 2020 komplett von GPT-3 verfassen ließ, nicht umsonst: „A robot wrote this entire article. Are you scared yet, human?“
Steile These: Text-Automation schon seit vielen tausend Jahren
Das Paradoxe dabei: Geschriebene Sprache ist im Prinzip schon immer Text-Automation. Denn die Erfindung der Schrift machte es möglich, das Flüchtige des gesprochenen Wortes einzufangen, zu speichern und beliebig oft zu reproduzieren. So gesehen erscheinen Buchdruck und elektronische Textverarbeitung lediglich als industrialisierte Weiterentwicklungen der von Anfang an vorhandenen Automatisierungsfunktion von Schrift.
Die Vorbehalte vieler Schreibender gegenüber Text-Automation sind also fast ein wenig scheinheilig. Und ganz ehrlich: Setzen wir nicht schon seit vielen Jahren mit größter Selbstverständlichkeit digitale Textautomaten ein? Wir arbeiten mit Textprogrammen, nutzen Rechtschreib- und Grammatikhilfen und lassen uns von Datenbanken Synonyme vorschlagen. Unseren Smartphones erlauben wir, angefangene Wörter und Sätze fertig zu formulieren. Wir verwenden Diktierfunktionen und wandeln Schrift auf Papier oder in Bilddateien mittels optischer Zeichenerkennung (OCT) in Textdateien um. Bots jagen wir durch die sozialen Medien und lassen uns von KI-basierten Maschinen Texte übersetzen.
So gesehen ist der letzte Schritt hin zur selbstständig schreibenden Maschine gar nicht mehr sooo groß. Doch was können Textautomaten aktuell wirklich? Und kann man sie tatsächlich schon auf Kunden loslassen?
Genau um diese Fragen geht es in Teil 2 dieser Blogserie.
Oder wollen Sie sich über Text-Automation austauschen?
Gerne rufe ich Sie für ein weiterführendes Gespräch zurück:
Christian Schwenkmaier
M +49 151 10819027
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